Europäische Industriepolitik für Wettbewerbsfähigkeit und Wandel
Wie kann es gelingen Europa wieder wettbewerbsfähiger zu machen, ohne dabei die Transformation der Industrie aus dem Blick zu verlieren?
Am Abend des 3. März hat das Netzwerk Zukunft der Industrie Udo Philipp, (Staatssekretär, BMWK), Tanja Gönner (Hauptgeschäftsführerin, BDI), Heiko Reese (Bereichsleiter Industrie und Branchenpolitik, IG Metall), Estelle Göger (Europäische Kommission), Matthias Ecke (EU Parlament), Michael Vassiliadis (Präsident, IndustriALL Europe) und Markus Beyrer (Generaldirektor, Business Europe) in die Landesvertretung NRW in Brüssel eingeladen, um über die Zukunft der europäischen Industrie zu diskutieren. Ein spannendes Vorhaben, angesichts der brisanten Weltlage, die aktuell Europa und insbesondere die Industrieunternehmen bedroht und zum Handeln antreibt.
Historische Chance
Den Auftakt machte Staatssekretär Udo Philipp (BMWK). Er dankte dem Netzwerk Zukunft der Industrie für die Initiative, Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik in Brüssel zusammenzubringen, um gemeinsam drängende Themen zu diskutieren und Lösungen voranzutreiben.
Die kommenden Jahre seien entscheidend für die Zukunft Europas. Unternehmen und die Industrie stünden an einem kritischen Punkt. Besonders betroffen seien energieintensive Sektoren wie Stahlproduktion, Maschinenbau und Automobilindustrie. Es gebe viele Herausforderungen, aber ebenso große Chancen. Die Europäische Kommission habe mit klarem Verständnis für den wirtschaftlichen Rahmen einen Fahrplan für die nächste Legislaturperiode erstellt. Besonders begrüßte Philipp, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zum zentralen Leitprinzip erklärt wurde. Zentral sei eine klimaneutrale Transformation der Industrie, ohne dabei die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Der Clean Industrial Deal müsse dabei eine ganzheitliche Strategie verfolgen. Drei Kernprioritäten hob er daraus hervor: Innovation, Dekarbonisierung und Resilienz. Ein Bündel an Maßnahmen seien jetzt anzugehen: Bürokratieabbau, gezielte Investitionen, die Stärkung des Binnenmarktes und Resilienz durch neue Handelsabkommen und Rohstoffsicherung sowie Förderung grüner Technologien.
Zum Abschluss appellierte er an alle Akteure, den Wandel nicht als Risiko, sondern als historische Chance zu begreifen. Es sei keine Frage, ob wir uns ändern werden, sondern wie schnell und selbstbewusst wir das tun können
Ein Weckruf aus der Industrie
Tanja Gönner (BDI) eröffnete ihren Impuls mit einem eindringlichen Aufruf: „Der Snooze-Button ist keine Option mehr“. Sie betonte, dass die aktuellen geopolitischen Entwicklungen ein Umdenken erfordern. Europa könne es sich nicht länger leisten, nur zu reagieren, sondern müsse entschlossen handeln, um seine Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken – es brauche eine strategische Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik.
Die EU müsse ihre wirtschaftliche Durchsetzungskraft konsequenter nutzen, insbesondere im Hinblick auf den Binnenmarkt, der als größter Wirtschaftsraum weltweit ein entscheidender Hebel für geopolitischen Einfluss sei. Doch bislang werde dieses Potenzial nicht ausreichend ausgeschöpft. Gönner identifizierte zwei Schlüsselbereiche, auf die sich die europäische Industriepolitik fokussieren müsse: Sicherheit sowie Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit. Erstere sei durch die veränderte sicherheitspolitische Lage zwingend erforderlich. Europa müsse seine Verteidigungsfähigkeiten eigenständig ausbauen und strategische Abhängigkeiten reduzieren. Europa müsse mit diversifizierten Handelsbeziehungen bei fairen Wettbewerbsbedingungen dem wachsenden Protektionismus aus den USA begegnen. Es brauche eine aktive Wirtschaftspolitik, die sich an den Prinzipien des Clean Industrial Deal (CID) orientiere. Dieser setze wichtige Impulse für eine klimafreundliche, innovative Industriepolitik. Es gelte, gezielte Investitionen in Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, digitale Vernetzung und nachhaltige Produktion voranzutreiben. In diesem Zusammenhang betonte Gönner auch die Notwendigkeit einer effektiven Entbürokratisierung in Europa.
Abschließend macht sie klar: Ein dramatischer Wandel ist unerlässlich. Europa brauche nun die Bereitschaft aller Beteiligten, der Kommission, des Rates, der Mitgliedstaaten sowie des Parlaments, um den Durchbruch zu schaffen. „Wir haben vielleicht nicht mehr so viele Gelegenheiten“, mahnte sie.
Ohne hochwertige Arbeitsplätze kein starkes Europa
Auf die Ausführungen von Tanja Gönner folgte Heiko Reese (IG Metall), der die industriepolitischen Herausforderungen aus Sicht der Arbeitnehmervertretung beleuchtete. Er skizzierte die Probleme der energieintensiven Industrie – hohe Energiepreise, regulatorische Unsicherheiten und wachsende Bürokratie. Reese begrüßte die industriepolitischen Initiativen der EU-Kommission und den sektoralen Action Plan, warnte aber vor beschleunigter Deindustrialisierung, die ganz Europa betreffen würde.
Qualität und Sicherheit der Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel, daher brauche es eine entschiedene industriepolitische Strategie, die über reine Wettbewerbsfähigkeit hinausgehe und Resilienz stärke. Reese betonte die Notwendigkeit einer aktiven Industriepolitik: Industrielle Strukturen müssten gezielt erhalten und gefördert werden. „Europa muss geschlossen handeln und Stärke zeigen“, betonte er. Investitionen in Infrastruktur und Transformation seien essenziell, um Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Eine IG Metall- und BDI-Studie beziffere den Investitionsbedarf in Deutschland auf über 600 Milliarden Euro – auch europaweit sei der Bedarf hoch. Fördermittel sollten jedoch an Standort- und Arbeitsplatzsicherung geknüpft sein. Ein weiteres zentrales Thema waren die Energiepreise. Reese forderte einen europäischen Ansatz zur Sicherstellung wettbewerbsfähiger Energiepreise. Der „Action Plan for Affordable Energy“ enthalte gute Ansätze, doch langfristige Lösungen seien nötig. Auch Bürokratieabbau sei wichtig, dürfe aber nicht zulasten von Arbeitnehmerrechten gehen. Stattdessen brauche es intelligente Digitalisierung und eine kohärente politische Abstimmung.
Am Ende zeigte sich Reese optimistisch. Europa könne den Wandel hin zu einer nachhaltigen, resilienten und vernetzten Industrie bewältigen: „Eine starke europäische Industrie, die Wohlstand schafft und sichere Arbeitsplätze bietet, ist der Garant für ein starkes Europa. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!“
Diskussion: „Wettbewerbsfähigkeit und Transformation – kommt jetzt der Wandel für die europäische und deutsche Industrie?“
In der anschließenden Diskussion wurden die Schlagworte des Abends vertieft diskutiert. Moderatorin Monika Jones bat Staatssekretär Philipp (BMWK), Tanja Gönner (BDI), Heiko Reese (IG Metall), Estelle Göger (Europäische Kommission), Matthias Ecke (EU Parlament), Michael Vassiliadis (IndustriALL Europe) und Markus Beyrer (Business Europe) ihre Plätze einzunehmen. Sie zoomte mit gezielten Fragen auf die akzentuierten Herausforderungen der europäischen Industriepolitik: Welche Prioritäten muss die EU jetzt setzen? Welche Maßnahmen sind nötig, um Wettbewerbsfähigkeit, Transformation und Wohlstand langfristig zu sichern – und damit auch unsere Umwelt, unternehmerische Freiheit und Demokratie?
Die Diskutanten waren sich in einem Punkt schnell einig: „Walk the Walk“ sei nun das Motto. Es ist an der Zeit zu handeln – und zwar schnell. Dennoch brauche es ein strategisches Ziel für die europäische Industrie und eine klare Richtung, in die alle Akteure einschlagen können. Europa müsse strategisch und entschlossen agieren, um im globalen Wettbewerb nicht weiter an Boden zu verlieren. Neben einem gemeinsamen industriepolitischen Zielbild brauche es konkrete Maßnahmen – vom Bürokratieabbau über niedrigere Energiekosten bis hin zu Investitionen in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und grünen Stahl. Dabei sei eine kluge Finanzierung und eine effizientere Kommerzialisierung von Innovationen essenziell. Doch damit nicht genug: Förderprogramme müssten besser koordiniert werden. Energieintensive Branchen müssten zudem gezielt entlastet werden — etwa durch eine verlässliche Strompreispolitik und eine langfristige Perspektive für den Emissionshandel über das Jahr 2030 hinaus. Ob Investitionen in Infrastruktur, Forschung oder den Energiesektor – alle wegweisenden Entscheidungen müssen zugunsten europäischer Standorte getroffen werden. Ein zukunftsfähiges Europa braucht Vertrauen, Zusammenhalt und ehrliche Diskussionen. Erstmals seit Jahrzehnten steht Europa vor ernsthaften Bedrohungen von außen. In diesen Zeiten dürfe es kein unberechenbares politisches Handeln geben. Es brauche eine einheitliche europäische Regierung, die Vertrauen zwischen Mitgliedsstaaten stärke. Von der neuen deutschen Regierung wurde erwartet, dass sie bei den Investitionen und der Politik zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit eine Führungsrolle übernimmt.
Die Brisanz des Themas zeigte sich nicht nur an der intensiven Diskussion, sondern auch an der hohen Konzentration im Raum und den zahlreichen Publikumsfragen. Europa stehe an einem entscheidenden Punkt: Jetzt gelte es, die Stärken des Binnenmarkts konsequent zu nutzen, Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft zu stärken und den industriellen Wandel aktiv zu gestalten.
Videomitschnitt der Veranstaltung
Impressionen
English Version
European industrial policy for competitiveness and transformation
On the evening of March 3, the Netzwerk Zukunft der Industrie invited Udo Philipp (State Secretary, BMWK), Tanja Gönner (CEO, BDI), Heiko Reese (Head of Industry and Sector Policy, IG Metall), Estelle Göger (European Commission), Matthias Ecke (EU Parliament), Michael Vassiliadis (President, IndustriALL Europe), and Markus Beyrer (Director General, Business Europe) to the NRW State Representation in Brussels to discuss the future of European industry. A highly relevant endeavor, given the current global tensions that threaten Europe and, in particular, industrial enterprises, pushing them to take action.
Historic Opportunity
State Secretary Udo Philipp from the German Federal Ministry for Economic Affairs and Climate Action (BMWK) opened the evening with an political impuls. He thanked the Network for the Future of Industry for its initiative in bringing together representatives from business, trade unions, and politics in Brussels to jointly address urgent issues and drive forward solutions.
The coming years, he emphasized, would be decisive for Europe’s future. Companies and industries were at a critical juncture, with energy-intensive sectors such as steel production, mechanical engineering, and the automotive industry particularly affected. However, alongside the challenges, there were also significant opportunities.
The European Commission had developed a roadmap for the next legislative period with a clear understanding of the economic framework. Philipp especially welcomed the fact that the competitiveness of the European economy had been established as a central guiding principle. The key was to drive forward a climate-neutral transformation of industry without jeopardizing international competitiveness. The Clean Industrial Deal must therefore pursue a holistic strategy based on three core priorities: innovation, decarbonization, and resilience.
Urgent measures now included cutting bureaucracy, targeted investments, strengthening the single market, and enhancing resilience through new trade agreements and securing raw materials. The promotion of green technologies also had to be accelerated.
In conclusion, Philipp called out to see transformation not as a risk but as a historic opportunity that we have the power to shape. The question is not whether Europe would change, but how quickly and with what confidence it can.
A Wake-Up Call from the Industry
Tanja Gönner (BDI), opened her impuls with a strong warning: “The snooze button is no longer an option.” She stressed that current geopolitical developments demand a fundamental shift in thinking. Europe can no longer afford to merely react – it must act decisively to strengthen its resilience and competitiveness in the long term. A key element of this is the strategic realignment of European economic policy.
The EU must leverage its economic strength more effectively, particularly by fully utilizing the potential of its single market, the world’s largest economic area, as a crucial instrument for geopolitical influence. However, this potential remains largely untapped. Gönner identified two key areas for European industrial policy: security and resilience, as well as competitiveness. The first has become essential due to the changing security situation. Europe must strengthen its defense independently and reduce strategic dependencies. Europe must counter the growing protectionism from the USA with diversified trade relations and fair competitive conditions. A proactive economic policy is necessary — one that aligns with the principles of the Clean Industrial Deal (CID). This initiative provides important impulses for a climate-friendly and innovative industrial strategy. Europe must push forward targeted investments in key technologies such as artificial intelligence, digital connectivity, and sustainable production.
In this context, Gönner also emphasized the urgent need for effective deregulation in Europe. She concluded with a clear message: dramatic change is unavoidable. Europe now requires commitment from all stakeholders – the Commission, the Council, the Member States, and the Parliament – to achieve a breakthrough. “We may not have all that many other opportunities”, she warned.
No Strong Europe Without Quality Jobs
Following Tanja Gönner’s remarks, Heiko Reese from IG Metall addressed the industrial policy challenges from the perspective of workers’ representation. He outlined the difficulties faced by energy-intensive industries – high energy costs, regulatory uncertainties, and increasing bureaucracy. Reese welcomed the EU Commission’s industrial policy initiatives and the sectoral Action Plan but warned against accelerated deindustrialization, which would affect all of Europe.
Job quality and security were at stake, he stressed, and a strong industrial policy was needed – one that goes beyond competitiveness and strengthens resilience. Reese emphasized the importance of a proactive industrial policy: industrial structures should not be left to the market alone but actively supported and preserved. “Europe must act in unity and show strength,” he urged. Investments in infrastructure and transformation were crucial to maintaining competitiveness. A joint study by IG Metall and BDI estimated that Germany alone requires over €600 billion in investments, with a similarly high demand across Europe. However, funding must be tied to location and job security commitments.
Another key issue was energy prices. Reese called for a European approach to ensure competitive energy costs. While the “Action Plan for Affordable Energy” contained promising elements, long-term solutions were needed. Additionally, reducing bureaucracy was important but must not come at the expense of workers’ rights. Instead, smart digitalization and coherent political coordination were required.
Despite these challenges, Reese remained optimistic. Europe, he said, could successfully transition to a sustainable, resilient, and interconnected industry: “A strong European industry that generates prosperity and secure jobs is the foundation of a strong Europe. Let’s work together to achieve it!”
Discussion: “Competitiveness and transformation — is change coming for European and German industry?”
In the discussion that followed, the evening’s keywords were discussed in greater depth. Moderator Monika Jones asked State Secretary Philipp (BMWK), Tanja Gönner (BDI), Heiko Reese (IG Metall), Estelle Göger (European Commission), Matthias Ecke (EU Parliament), Michael Vassiliadis (IndustriALL Europe) and Beyrer (Business Europe) to take their seats. She zoomed in on the accentuated challenges of European industrial policy with specific questions: What priorities must the EU set now? What measures are needed to secure competitiveness, transformation and prosperity in the long term — and thus also our environment, entrepreneurial freedom and democracy?
The panelists quickly agreed on one point: “Walk the Walk” is now key. It is time to act – and to speed up. Nevertheless, there needs to be a strategic goal for European industry and a clear direction in which all players can move. Europe must act strategically and decisively in order not to lose further ground in global competition. In addition to a common industrial policy vision, concrete measures are needed — from reducing bureaucracy and lowering energy costs to investing in future technologies such as artificial intelligence and green steel. Smart financing and more efficient commercialization of innovations are essential. But that’s not all: funding programs need to be better coordinated. Energy-intensive industries must also be specifically relieved – for example through a reliable electricity price policy and a long-term perspective for emissions trading beyond 2030. Whether investments in infrastructure, research or the energy sector – all groundbreaking decisions must be made in favor of European locations. A sustainable Europe needs trust, cohesion and honest discussions. For the first time in decades, Europe is facing serious external threats. In these times, there should be no unpredictable political action. What is needed is a unified European government that strengthens trust between member states. The new German government was expected to take a leading role in investments and policies to increase European competitiveness.
The explosive nature of the topic was evident not only from the intensive discussion, but also from the high level of concentration in the room and the numerous questions from the audience. Europe is at a turning point: now is the time to make consistent use of the strengths of the internal market, to strengthen trust between politics and business and to actively shape industrial change.